Was bedeutet die neue Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in der Praxis?

Alle Infos zur neuen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes
22.12.2022
3
Minuten Lesezeit

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass Arbeitgeber in EU-Mitgliedstaaten ein System zur Messung der täglichen Arbeitszeit von Arbeitnehmern einführen müssen, um die Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) zu erfüllen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat  am 13. September 2022 entschieden, dass diese Vorgaben des EuGH auf Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) unmittelbar für deutsche Arbeitgeber gelten.

Die Begründung dafür wurde am 2. Dezember 2022 veröffentlicht und haben erhebliche Auswirkungen für die Praxis:

Einzelne Fragen, die sich jetzt stellen:


Ab wann muss die neue Rechtsprechung des BAG beachtet werden?

Die Vorgaben für die Arbeitszeiterfassung gelten ab sofort, es gibt keine Übergangsfrist. Die Arbeitsschutzbehörden werden wahrscheinlich den Unternehmen einen angemessenen Zeitrahmen zur Anpassung und Umsetzung einräumen. Betriebe mit Betriebsräten sollten sich darauf einstellen, dass diese möglicherweise bald Verhandlungen über Arbeitszeiterfassung fordern werden, falls keine entsprechenden Vereinbarungen bereits vorliegen.


Müssen Arbeitnehmer die bereitgestellte Zeiterfassung nutzen?

Es reicht nicht aus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Arbeitszeiterfassungssystem zur Verfügung stellt, sondern es muss auch tatsächlich verwendet werden. Individualverträge, die die Arbeitszeiterfassung ausschließen, sind nicht gültig.


Zu welchem Zeitpunkt muss die Arbeitszeiterfassung tatsächlich erfolgen?

Es gibt keine festgelegten Vorgaben dafür, wann Arbeitszeiten aufgezeichnet werden müssen. Die Aufzeichnung muss nicht unmittelbar nach der Arbeitsleistung erfolgen und Nachträge innerhalb einer angemessenen Frist sind erlaubt. Es wird angenommen, dass eine angemessene Frist mindestens 7 Tage betragen sollte.


Welche Zeiten sind denn jetzt genau zu erfassen?

Beginn und Ende der Arbeitszeit, einschließlich der Überstunden, sind zu erfassen. Es wird angenommen, dass die konkrete Dauer von Pausenzeiten und anderen Arbeitsunterbrechungen nicht erfasst werden muss, sondern es genügt, sie von der Gesamtarbeitszeit abzuziehen. Die Definition der zu erfassenden Aktivitäten richtet sich nach der Arbeitszeitdefinition in § 2 des Arbeitszeitgesetzes und der dazu vorliegenden Rechtsprechung.


Gibt es einen Unterschied zwischen der Arbeitszeit, die erfasst werden muss und der Arbeitszeit, die auch bezahlt werden muss?


Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts betrifft den Arbeitsschutz und das öffentliche Arbeitszeitrecht als Teilbereich des Arbeitsschutzes. Sie hat keine Auswirkungen auf Vergütungsfragen, insbesondere Überstundenvergütung. Das Fehlen einer Arbeitszeiterfassung führt nicht zu Beweiserleichterungen im Überstundenprozess, aber vorhandene Arbeitszeitaufzeichnungen können als Indiz dienen. Der Arbeitgeber muss die Arbeitszeit im öffentlich-rechtlichen Sinne erfassen und gegebenenfalls vorlegen. Wenn die vergütungsrechtlichen Arbeitszeiten davon abweichen und der Arbeitgeber auch diese erfassen möchte, müssen sie gesondert ausgewiesen werden.


Gilt die Zeiterfassungspflicht für alle Arbeitnehmer?

Die Erfassungspflicht bezieht sich auf alle Beschäftigten im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (Arbeiter und Angestellte einschließlich Berufsauszubildender). Diese Definition entspricht der in § 2 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz, da die Erfassungspflicht dazu dient, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes einzuhalten. Die Erfassungspflicht gilt damit auch für Außendienstler, im Homeoffice, für Beamte, Soldaten, Azubis und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Keiner Zeiterfassungspflicht unterliegen: Organmitglieder, mitarbeitende Verwandte und Ehepartner.

Derzeit wird auch angenommen, dass auch leitende Angestelle ihre Arbeitszeit nicht erfassen müssen. Allerdings gibt es leitende Angestellte im Sinne des Arbeitszeitrechts höchst selten.


Was droht, wenn gegen die Zeiterfassungspflicht verstoßen wird?

Es gibt keine unmittelbaren Konsequenzen für Verstöße gegen diese Pflicht. Eine Arbeitsschutzbehörde muss zunächst anordnen, dass die Arbeitszeit erfasst werden soll, bevor Bußgelder verhängt werden können, wenn einer solchen Anordnung nicht Folge geleistet wird.

Was für Grenzen setzt eigentlich das Arbeitszeitgesetz für die Arbeitszeit?

Was zählt als Arbeitszeit, wo sind die Grenzen der Arbeitszeit - da gibt es viele Fragen. Ein paar davon werden im verlinkten Video beantworten, z.B. hier die fünf grundsätzlichen Begrenzungen der Arbeitszeitgesetzes.

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