Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass Arbeitgeber in EU-Mitgliedstaaten ein System zur Messung der täglichen Arbeitszeit von Arbeitnehmern einführen müssen, um die Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) zu erfüllen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 13. September 2022 entschieden, dass diese Vorgaben des EuGH auf Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) unmittelbar für deutsche Arbeitgeber gelten.
Die Begründung dafür wurde am 2. Dezember 2022 veröffentlicht und haben erhebliche Auswirkungen für die Praxis:
Die Vorgaben für die Arbeitszeiterfassung gelten ab sofort, es gibt keine Übergangsfrist. Die Arbeitsschutzbehörden werden wahrscheinlich den Unternehmen einen angemessenen Zeitrahmen zur Anpassung und Umsetzung einräumen. Betriebe mit Betriebsräten sollten sich darauf einstellen, dass diese möglicherweise bald Verhandlungen über Arbeitszeiterfassung fordern werden, falls keine entsprechenden Vereinbarungen bereits vorliegen.
Es reicht nicht aus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Arbeitszeiterfassungssystem zur Verfügung stellt, sondern es muss auch tatsächlich verwendet werden. Individualverträge, die die Arbeitszeiterfassung ausschließen, sind nicht gültig.
Es gibt keine festgelegten Vorgaben dafür, wann Arbeitszeiten aufgezeichnet werden müssen. Die Aufzeichnung muss nicht unmittelbar nach der Arbeitsleistung erfolgen und Nachträge innerhalb einer angemessenen Frist sind erlaubt. Es wird angenommen, dass eine angemessene Frist mindestens 7 Tage betragen sollte.
Beginn und Ende der Arbeitszeit, einschließlich der Überstunden, sind zu erfassen. Es wird angenommen, dass die konkrete Dauer von Pausenzeiten und anderen Arbeitsunterbrechungen nicht erfasst werden muss, sondern es genügt, sie von der Gesamtarbeitszeit abzuziehen. Die Definition der zu erfassenden Aktivitäten richtet sich nach der Arbeitszeitdefinition in § 2 des Arbeitszeitgesetzes und der dazu vorliegenden Rechtsprechung.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts betrifft den Arbeitsschutz und das öffentliche Arbeitszeitrecht als Teilbereich des Arbeitsschutzes. Sie hat keine Auswirkungen auf Vergütungsfragen, insbesondere Überstundenvergütung. Das Fehlen einer Arbeitszeiterfassung führt nicht zu Beweiserleichterungen im Überstundenprozess, aber vorhandene Arbeitszeitaufzeichnungen können als Indiz dienen. Der Arbeitgeber muss die Arbeitszeit im öffentlich-rechtlichen Sinne erfassen und gegebenenfalls vorlegen. Wenn die vergütungsrechtlichen Arbeitszeiten davon abweichen und der Arbeitgeber auch diese erfassen möchte, müssen sie gesondert ausgewiesen werden.
Die Erfassungspflicht bezieht sich auf alle Beschäftigten im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (Arbeiter und Angestellte einschließlich Berufsauszubildender). Diese Definition entspricht der in § 2 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz, da die Erfassungspflicht dazu dient, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes einzuhalten. Die Erfassungspflicht gilt damit auch für Außendienstler, im Homeoffice, für Beamte, Soldaten, Azubis und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Keiner Zeiterfassungspflicht unterliegen: Organmitglieder, mitarbeitende Verwandte und Ehepartner.
Derzeit wird auch angenommen, dass auch leitende Angestelle ihre Arbeitszeit nicht erfassen müssen. Allerdings gibt es leitende Angestellte im Sinne des Arbeitszeitrechts höchst selten.
Es gibt keine unmittelbaren Konsequenzen für Verstöße gegen diese Pflicht. Eine Arbeitsschutzbehörde muss zunächst anordnen, dass die Arbeitszeit erfasst werden soll, bevor Bußgelder verhängt werden können, wenn einer solchen Anordnung nicht Folge geleistet wird.
Was zählt als Arbeitszeit, wo sind die Grenzen der Arbeitszeit - da gibt es viele Fragen. Ein paar davon werden im verlinkten Video beantworten, z.B. hier die fünf grundsätzlichen Begrenzungen der Arbeitszeitgesetzes.
Aktuelle rechtliche Entwicklungen, Tipps und Expertenwissen zu unseren Fachbereichen – alles an einem Ort.
Wir stehen Ihnen für Ihre rechtlichen Anliegen und Fragen gerne zur Verfügung.